Am 17.05.2025 veranstaltete der Neonazi Daniel Kokott (Leopoldshöhe) unter dem Motto„Für Recht und Ordnung – gegen Linksextremismus und rechtsfreie Räume“ eine neonazistische Demonstration in Herford. Seiner Online-Bewerbung für die Demo schlossen sich mit „Der Störtrupp“ (DST), „jung&stark“ (JS) und „Patriotische Deutsche Jugend“ (PDJ) mehrere überregional aktive Neonazi-Gruppierungen an. Doch trotz wochenlanger Online-Mobilisierung und Aufrufen verschiedener Gruppen floppte die Nazi-Demo: anstatt der angemeldeten 250 Neonazis kamen nur knapp 120 in die ostwestfälische Stadt gereist. Die lokale etablierte Neonazi-Szene unterstützte den Aufruf weder in der Bewerbung, noch in personeller Präsenz. Dennoch birgt der eher peinlich geratene Auftritt der Neonazis in Herford ein Gefahrenpotenzial: junge, rechtsoffene Minderjährige und rechte junge Skinheads fühlen sich angesprochen.
Aufruf: zwischen „Bielefeld steht auf“, Neonazi-Gruppen und Online-Scheinriesen
Unter dem Namen „Heimat Erhalten“ betreibt Daniel Kokott mehrere Social-Media-Kanäle (u.a. bei telegram, tiktok und instagram). Mit „Heimat Erhalten“ organisierte er eine rassistische Kundgebung mit der AfD Lippe am 12.10.24 in Horn, an der mehrheitlich organisierte Neonazis aus dem ostwestfälischen Umland teilnahmen. Im Januar bewarb Kokott dann eine von Ferhat Sentürk organisierte Demo in Aachen mit dem Titel „Demonstration für Recht & Ordnung – gegen Linksextremismus & politisch motivierte Gewalt“ (18.01.25). Sentürk will nach eigenen Angaben mittlerweile aus der rechten Szene ausgestiegen sein. Aus der lokalen verschwörungsideologischen Szene wollte sich niemand Kokott anschließen, auch wenn er bei „Bielefeld steht auf“ mehrfach Plätze zum Mitfahren anbot. So fuhr Kokott allein mit seinem Megafon nach Aachen. Die Neonazi-Demo in Aachen erwies sich als kleiner Auflauf sich aggressiv gebärdender Neonazis aus verschiedenen Städten, die mit ca. 150 Teilnehmer*innen weit hinter den angemeldeten 800 zurück blieben. Die anwesenden Neonazis nutzten den kleinen Rahmen, um mit Gruppenfotos personelle Stärke zu simulieren und dabei überregionale Kontakte zu knüpfen. Hier kam Kokott in Kontakt mit Neonazis vom DST und JS. Außerdem machte er hier die Bekanntschaft zweier junger Neonazis aus dem Raum Minden-Lübbecke, die seit Januar versuchen, dem Namen „Active Club OWL“ Leben einzuhauchen. In den folgenden Monaten besuchte Kokott mehrfach rechte Demonstrationen mit dem DST-Ableger DST-Süd in Aschaffenburg (22.02.25 & 26.04.25), Stuttgart (22.03.25) und Gera (01.05.25).

17.05.25, Herford: Dino Carpinone (weißes Shirt), rechts daneben Marvin Dunker und Nico Wille (Quelle: Pixelarchiv)
Der DST ist eine Neonazi-Gruppe, die sich im Sommer 2024 im Zuge der queerfeindlichen Protestwelle gegen CSD-Paraden gründete. Die hierarchisch strukturierte Gruppe tritt in vier Regionalgruppen auf: Nord, Süd, Ost, West. Die Vernetzung findet vor allem online und über WhatsApp-Chatgruppen statt, sodass die Online-Auftritte der Gruppe eine größere Personenanzahl suggerieren als sich bei realen Zusammenkünften finden. Videos und Bilder der DST-Treffen und Demoteilnahmen zeigen, dass hier bekannte ältere Neonazis sowie gewaltbereite, rechte (Alt-)Hooligans auf junge erlebnisorientierte Rechte treffen. Mitglieder der Gruppe sind als Gewalttäter bekannt, z.B. Dino Carpinone vom DST-Süd. Dino Carpinone erlangte 2014 als Teil der Gruppe „Berserker Pforzheim“ gewisse Bekanntschaft, die Gruppe fiel durch ihre Rolle bei den schweren Ausschreitungen bei den rechten HoGeSa-Demos 2014/2015 auf. In internen Chats des DST, die im Rahmen einer ZDF-Recherche (https://www.zdf.de/nachrichten/politik/deutschland/neonazi-geheim-chats-rechtsextreme-gruppen-100.html) öffentlich wurden, werden täglich NS-Propaganda, antisemitische, rassistische und queerfeindliche Inhalte sowie Gewaltaufrufe geteilt. Die Feindbilder, denen mit Vernichtungsfantasien begegnet wird, sind klar: Antifaschist*innen, queere und homosexuelle Menschen, Juden und Jüd:innen, people of colour und Migrant*innen. DST-Mitglieder wie Tobias Thuro unterstützten Daniel Kokott am 25.04.25 bei einer von ihm organisierten rassistischen Kundgebung in Leopoldshöhe.

17.05.25, Herford: vermummte Mitglieder der Gruppe JS, links daneben im Defend Europe Shirt Kjell Brüggemann (Quelle: Pixelarchiv)
Die Demo in Herford war die erste offizielle gemeinsame Mobilisierung von Daniel Kokott und dem DST. Für den Aufruf nutzte Kokott sämtliche Szenekontakte, über die er online und offline verfügt. So bewarben mit dem NRW-Ableger der Gruppe „Jung & Stark NRW“ (JS) und der „Patriotische Deutsche Jugend“ (PDJ) aus Berlin zwei weitere überregionale Gruppen die Neonazi-Demo in Herford. Beide Gruppen entstanden wie der DST im Zuge der queerfeindlichen Demonstrationswelle im Sommer 2024 und agieren vor allem online. Gegen mehrere Mitglieder von J&S wird in Berlin wegen gewaltsamer Übergriffe auf Linke ermittelt, in Bayern sollen J&S Mitglieder Angriffe auf Linke und Migrant*innen geplant haben. Mit solchen Gruppen „für Recht und Ordnung“ und „gegen rechtsfreie Räume“ zu demonstrieren entbehrt nicht einer gewissen Ironie.
Einige aufrufende Gruppen sind direkt Daniel Kokott zuzuordnen und im Kontext der rechten, verschwörungsideologischen Gruppe „Bielefeld steht auf“ (BSA) entstanden. So existiert in der Realität keine Gruppe mit dem Namen „Ostwestfalen Revolte“, der zugehörige Account war monatelang, bis zur Demowerbung für Herford, inaktiv. Nur bei einer einzigen BSA-Demo im November lief eine Einzelperson mit einer gedruckten „Ostwestfalen Revolte“ am Rand mit. Mutmaßlich geht der Account auf Kokott zurück. Unter dem Namen „Enkel gegen Links“ verbirgt sich eine kleine einstellige Zahl junger Rechter, die bisher im Kontext von AfD-Wahlkampfständen in Bielefeld und BSA-Demos 2024 aufgetreten sind. Daniel Kokott vernetzte sich bei den BSA-Demos mit den jungen Leuten und nahm Einzelpersonen auch schon zu rechten überregionalen Demos mit.
Der „Active Club OWL“ (AC OWL) ist eine rechte Kleingruppe, die im Dezember 2024 bei telegram in Erscheinung trat. Die von der Gruppe veröffentlichten Fotos zeigen, dass hier nicht regionale Neonazis eine neue Formierung wählten, sondern Neonazis aus dem Raum Dortmund versuchten, mit dem AC OWL eine neue Struktur zu schaffen. Ab Januar 2025 sammelten sich hier unter der Anleitung von Neonazis wie Nico Wille (Dortmund) ca. neun junge Neonazis aus dem Raum Minden-Lübbecke und Umgebung, die bis dato nicht in neonazistischen Kontexten oder anderen politischen Kontexten aufgetreten waren. Ein erster Kontakt mit Kokott fand bei der genannten Nazi-Demo am 18.01.25 in Aachen statt. Wenige Wochen später führte Kokott am 10.02.25 mit seiner Gruppe „Freischar Westfalen“ eine gemeinsame Aktion mit dem AC OWL durch, bei der die Neonazis Gräber von Wehrmachtssoldaten in der Dörenschlucht bei Detmold reinigten und ein geschichtsrevisionistisches Video produzierten. Am gleichen Tag besuchte Kokott mit einigen Mitgliedern des AC OWL eine verschwörungsideologische Demo in Detmold. Zwei Neonazis des AC OWL besuchten am 15.02.25 den geschichtsrevisionistischen Aufmarsch in Dresden, auch Daniel Kokott nahm teil. Der AC OWL rief online zu der Demo in Herford auf, bekannte Mitglieder der Gruppe ließen sich aber nicht dort blicken.
Die Demo am 17.05. in Herford
Circa 120 Neonazis folgten dem Aufruf von Kokott und Co. nach Herford. Die größte Gruppe machte hier der DST aus, die Gruppe hatte als Mitveranstalter eine gewisse Bringschuld. Mitglieder zeigten sich in Shirts und Pullovern mit den Insignien der Gruppe. Die Aufschrift „C-60“ spielt dabei auf die genannte ZDF-Recherche an. In der Dokumentation wird der Neonazi Dino Carpinone vorgestellt und anhand eines Tattoos auf einem verpixelten Foto identifiziert. In der Doku heißt es, er habe eine 60 am Hals tättowiert (mittlerweile ist die Zahl überdeckt). Tatsächlich war an C.s Hals eine 69 tättowiert, in der DST-Szene gilt die Aufschrift C-60 als humoristische Reaktion auf den Mini-Fehler in der ansonsten sehr gelungenen Recherche. Bekannte DST-Mitglider in Herford waren u.a. Christian Meister (Wormstedt), Dino Carpinone (Pforzheim), Alexander Mies (Köln) und Tobias Thuro (Aachen).
Aus Dortmund und dem Ruhrgebiet reiste eine größere Gruppe Neonazis an, darunter einige Mitglieder von Jung&Stark. Begleitet wurden die Nachwuchs-Nazis aus NRW von einigen älteren Neonazis, darunter auch Sascha Krolzig (Die Heimat, Dortmund), Nico Wille und Marvin Dunker. Auch einzelne Neonazis aus Berlin fanden sich ein.
Aus Bielefeld nahm eine größere Gruppe rechter Skinheads und Jugendlicher am Aufmarsch teil. Die Gruppe, zu der auch diverse Minderjährige gehören, scheint mehrheitlich ukrainisch zu sprechen. Mehrere Neonazis aus dieser Gruppe nahmen auch am 15.02.25 an einer Neonazi-Demo in Essen teil. Die Gruppe steht sinnbildlich für die sich neu bildende junge Neonazi-Szene, die sich über Online-Inhalte politisiert und deren politische Überzeugung aus Versatzstücken neonazistischer und faschistischer Ideologien zusammengestückelt ist. Sie haben keine Anbindung an etablierte Neonazi-Organisationen und finden sich online und bei Demos mit Gleichgesinnten zusammen. Die geteilten Feindbilder nehmen hier eine zentrale, mobilisierende Rolle ein.

17.05.25, Herford: junge rechte Jugendliche am Rande der Demo, welche vom DST von der Demo ausgeschlossen wurden (Quelle: Pixelarchiv)
Am Rand der Demo bewegte sich eine größere Gruppe Jugendlicher aus OWL. Aufgrund des geringen Alters wurde ihnen die Teilnahme an der Demo verwehrt, dennoch begleiteten die Minderjährigen den neonazistischen Demozug durch Herford.
Aus der verschwörungsideologischen Szene beteiligten sich die Organisatoren der Gruppe „Bad Oeynhausen erhebt sich“ an dem Aufzug. Die Herforder Gruppe „Querdenken 5221“ hatte die Demo im Vorfeld unterstützt, konnte sich aufgrund der offensichtlichen Dominanz gewaltbereiter Neonazis dann an dem Tag nicht zur Teilnahme durchringen.

17.05.25, Herford: Siegfried Meier aus Salzkotten, regelmäßiger Teilnehmer bei „Bielefeld steht auf“ (Quelle: Doku Netzwerk OWL)
Die Querdenker*innen streiften sodann maulend und unzufrieden in Sichtweite der Neonazi-Demo durch die Stadt. Nicht die Inhalte schreckten sie ab, allein das Aussehen der Neonazis schien ihnen „zu doll“. Die Technik der Neonazi-Demo wurde von Siegfried, einem bekannten Akteur der lokalen verschwörungsideologischen Szene und regelmäßigen BSA-Teilnehmer gestellt. Verschiedene rechte Streamer*innen aus dem verschwörungsideologischen Kontext begleiteten die Demo, so zum Beispiel Toni Kopke (aus Lage, OWL) und Sandra Gabriel (Utopia TV) oder auch Sebastian Weber (Weichreite TV).
Aus der lokalen Neonazi-Szene beteiligte sich niemand an Kokotts Veranstaltung. Das Verhältnis der etablierten Neonazi-Szene zu den neuen Online-Gruppen wie DST, JS und Co. ist ambivalent. Das undisziplinierte Auftreten, die mangelnde ideologische Festigkeit und die hohe Fluktuation in den neuen Gruppen wird in der Szene ablehnend betrachtet. Kokott konnte hier, trotz vorhandener Kontakte, keinen gemeinsamen Auftritt bewirken.
Daniel Kokott war der einzige Redner. In gestammelten, oftmals inhaltlich nicht zusammenhängenden Kurzbeiträgen versuchte er, Stimmung zu erzeugen. Dies gelang kaum.
Mehrfach beschwerte sich Kokott, nicht in eine „extremistische Ecke gestellt“ werden zu wollen, nur um dann anzuschließen: „Sind Neonazis anwesend? Wahrscheinlich. Warum sind sie anwesend? Weil ich sie eingeladen habe!“. Andere Reden gab es nicht, obwohl mit Sascha Krolzig ein durchaus erfahrener Nazi-Redner anwesend war.
Insgesamt wurde bei der Neonazi-Demo sehr deutlich, dass es nicht um Inhalte ging, sondern allein um die martialische Selbstinszenierung und die Vergewisserung, zur Szene zu gehören. Die Demos, an denen sich Gruppen wie DST, J&S und Co. beteiligen, sollen dem erlebnisorientierten Publikum ein gemeinsames Straßenerlebnis bescheren und für Social-Media-Kanäle Bilder produzieren. Die hier tonangebenden Nazi-Kader fallen nicht durch ihren intellektuellen Output auf, sondern durch zur Schau gestellte Pumperkörper und Gewaltbereitschaft. Wie dünn der Grad zwischen geordnetem Auftreten und Gewalt bei diesem Personenkreis ist, zeigte sich auch am Samstag bei der Zwischenkundgebung der Neonazis im Radewiger Park, wo ein Journalist der taz gewaltsam angegriffen wurde.
Nur ein massives Polizeiaufgebot ermöglichte den Neonazis ihren Aufzug durch Herford. Die Mobilisierung konnte die etablierte Neonazi-Szene nicht erreichen und auch der Anschluss der verschwörungsideologischen Szene blieb aus. Mit weniger als der Hälfte der angemeldeten Personenzahl und gestammelten Redebeiträgen geriet der Aufzug zum Flopp. Mehr als 2500 Menschen nahmen an den Protesten gegen die Neonazis teil und zeigten deutlich, dass die Neonazis in Herford nicht erwünscht sind.
Mindestens sieben Hundertschaften wurden in Herford eingesetzt, die Polizei sprach von 800 Beamt*innen im Einsatz. Zeitgleich wurde in Gelsenkirchen eine CSD-Parade aufgrund einer abstrakten Bedrohungslage abgesagt. Die Prioritätssetzung der Polizei NRW hat somit am „International Day Against Homophobia, Biphobia and Transphobia“ (IDAHOBIT, 17.05.) in Herford den Aufzug gewaltbereiter, queerfeindlicher Neonazis ermöglicht und darauf verzichtet, eine CSD-Parade, die sich für Pride, Awareness und die Rechte der LGBTIAQ+Community einsetzt, abzusichern und stattfinden zu lassen.
Die Gefahr, die von solchen Neonazi-Demos ausgeht, liegt nicht nur in dem unmittelbaren Gewaltpotenzial der Teilnehmenden. Die Bilder und Videos, die über die Social-Media-Kanäle der Nazi-Gruppen verbreitet werden, zielen darauf ab, Jugendliche und junge Menschen für rechte Gruppen und Inhalte zu gewinnen. In den Videos wird nicht ersichtlich, welchen Charakter die Demo in Wirklichkeit hatte. Die Inszenierung setzt die Neonazis als erfolgreiche, martialische Großgruppe in Szene und knüpft dabei an problematische Männlichkeitsvorstellungen und Erlebnissehnsüchte junger Menschen an. Dies zeigt sich auch an der (versuchten) Teilnahme ostwestfälischer Jugendlicher in Herford. Daher bleibt es wichtig, sich den Neonazis bei all ihren Aufzügen entschieden entgegen zu stellen.
Ausführliche Bilderstrecken gibt es bei: